Im verschlossenen Garten

Vertonungen des Hohen Liedes im Mittelalter

Ein umzäunter, geheimer Zufluchtsort. Schützend vor unerwünschten fremden Blicken oder vor wilden Tieren, ein Rückzugsort zur Kontemplation und Meditation, ein Ebenbild göttlicher Ordnung und des Paradieses - das Motiv des verschlossenen Gartens (Hortus conclusus) geht auf die Dichtung des Hohen Liedes Salomos im Alten Testament zurück. Liebeslied oder religiöse Allegorie? - Das Hohelied Salomos löste über die Jahrhunderte der Theologie und Kulturgeschichte hindurch eine Flut an Deutungen, Kommentaren aus wie kaum ein Text des Alten Testaments.

Der symbolische Garten ist Ausgangspunkt zur Erkundung der überaus zahlreichen faszinierenden Vertonungen des Hoheliedes im Mittelalter.


Christine Mothes – Gesang
Karen Marit Ehlig – Fidel
Anne Freitag – Flöten


Träume aus Glas

Werke von Walter Frye, John Bedyngham, John Dunstable u.a.

Als dichterisches Motiv reicht der Traum bis in die Urzeit zurück. Die Literatur des Mittelalters ist voller Traumschilderungen, von religiösen Visionen und Offenbarungen bis hin zu Deutungsversuchen in Traumbüchern (Somniaria).

Im Zentrum des Programms steht die mittelenglische Erzählung The Temple of Glas des Dichters John Lydgate (* um 1370- um 1451). Der Erzähler begegnet im Schlaf einem unglücklich verliebten Ritter, der Venus um ihre Hilfe bittet. Die Göttin tröstet und bestärkt ihn, der Angebeteten seine Zuneigung zu gestehen. Im Traum erfüllt sich, was im Mittelalter unmöglich war: Die angebetete, verheiratete Geliebte kann eine geachtete Verbindung zu ihrem Liebhaber eingehen  –  die unerfüllbare Sehnsucht wird erfüllt. La Mouvance lässt diese Geschichte der befreienden Macht der Träume musikalisch zum Leben erwachen. Die reinen und vollen Klänge, die virtuosen Instrumentalstücke und feinsinnige Texte und Kompositionen des fünfzehnten Jahrhunderts entführen den Zuhörer in eine Welt voller Suggestion und Phantasie. 


Christine Mothes - Gesang
Anne Freitag - Traversflöte
Karen Marit Ehlig - Fidel
Miyoko Ito-Ehrhardt – Fidel

Miracles

Vision – Wunder – Glaubenserfahrung
Werke von Hildegard von Bingen, Herrad von Landsberg, Notker Balbulus u.a.

Das Wunder ist nicht ein Widerspruch zu den Naturgesetzen, sondern ein Widerspruch zu dem, was wir von diesen Gesetzen wissen.“ Aurelius Augustinus

Prophetische Visionen, unerwartete Heilung, Rettung vor dem nahenden Tod, Geschöpfe einer anderen Welt und außergewöhnliche Naturerscheinungen – Berichte von wundersamen Ereignissen sind zahlreich in mittelalterlichen Handschriften anzutreffen. Oftmals ist die Musik in den Legenden selbst der Auslöser eines Wunders. So konnte der gregorianische Choral über den liturgischen Rahmen eines Gottesdienstes hinaus Heilung und Visionen hervorrufen.

Ausgehend von einem der bedeutendsten Bücher mittelalterlicher Wundererzählungen, dem „Dialogus magnus visionum ac miraculorum“ des Zisterziensermönch Caesarius von Heisterbach (um 1180 - nach 1240) begibt sich das Ensemble La Mouvance auf Spurensuche der Vorstellungswelt des beginnenden 13. Jahrhunderts. Das in Form eines Dialogs zwischen einem Mönch und einem Novizen verfasste Buch greift mündliche Überlieferungen und bekannte zeitgenössische Erzählmotive auf und gliedert diese in Themenbereiche wie die Versuchung, Dämonen, die Jungfrau Maria,Visionen, die Sterbenden und den Lohn der Toten.

La Mouvance läßt sich von ausgewählten Kapiteln des Dialogus miraculorum inspirieren und illustriert diese musikalisch mit Kompositionen von Hildegard von Bingen, Herrad von Landsberg u.a.

Himmlische Kunst Musica

Wenn man mit fleis singet, so sitzet das seelische im leibe, spielet und hatt einen sonderlichen wolgefallen doran.

Martin Luther, 1483 - 1546, in: Tischreden, 1542

Befördert durch die reformatorischen Bestrebungen kam dem deutschsprachigen Gesang eine zentrale Stellung im lutherischen Gottesdienst zu. Singend und sagend sollte die Botschaft des Evangeliums den Menschen zugänglich und verständlich werden. Durch die Veröffentlichung des Geystlich Gesangk Buchleyns Johann Walters (1496 - 1570) im Jahr 1524 verbreitete sich rasch ein Fundus von Melodien, die zahlreichen reformatorisch gesinnten Komponisten als Vorlage für polyphone Neuvertonungen dienten. Diese lösten sich zunehmend von älteren Formen – ihnen liegen nun lutherische Choralmelodien zugrunde. Komponisten wie Thomas Stoltzer gehörten zu denjenigen, die von Josquin Desprez, Pierre de la Rue und Heinrich Isaac inspiriert, erstmals deutschsprachige Motetten komponierten. Sein vierstimmiger Satz Herr, wie lange willt du mein so gar vergessen basiert auf Luthers erster Übersetzung des 13. Psalms aus dem Erscheinungsjahr des Gesangbuches.

Ausgewählte Kompositionen dieses neuen Stils sind in den Musikdrucken des Wittenberger Verlegers Georg Rhau (1488 - 1548) überliefert. Seine 19 Bände umfassende Sammlung polyphoner liturgischer Musik verfolgte den visionären Gedanken, dem evangelischen Gemeindegesang eine reiche Auswahl an Werken zu bieten. Zugleich stellte er mit seinen Newen deudschen geistlichen Gesengen für die gemeinen Schulen (1544) und den Tricinia (1542) ein pädagogisch durchdachtes Notenmaterial für den Unterricht und das von Martin Luther hoch geschätzte häusliche Musizieren zusammen.

In diesem Konzert erklingen Kompositionen aus Georg Rhaus Notendrucken, sowie Intavolierungen bekannter weltlicher und geistlicher Werke aus den Lautenbüchern Hans Gerles.

Loing de Vous - Aus der Ferne

Musik Guillaumes de
Machaut am französischen Hof
des 14. Jahrhunderts

Guillaume de Machaut, bedeutender französischer Dichter-Komponist des 14. Jahrhunderts, setzte die Tradition der französischen Trobadors und Trouvères fort, deren literarisches und musikalisches Schaffen sich der höfischen Liebe, der sogenannten fin amour widmete. Das allgegenwärtige Thema dieser verfeinerten, idealisierten und stilisierten Liebe bot einen reichen Nährboden für dichterischen Variantenreichtum und sprachliche Raffinesse, mit welcher der Dichter zugleich sein Können unter Beweis stellte. So drückt sich die fin amour aus in den Worten eines lyrischen Ichs, das von einer zumeist unbenannten Geliebten spricht, als treuer Dienender – aus der Ferne.

Parlar cantando

Norditalienische Musik des
14. Jahrhunderts

Werke von Jacopo da Bologna, Francesco Landini, Gheradello da Firenze u.a.

„Parlar cantando“ - singend sprechen. Eine Praxis im Italien des 13. und 14. Jahrhunderts Gedichte laut zu rezitieren. So wie unsere Zeit eine visuell geprägte Zeit ist, in der sehr viele Informationen lesend und schauend aufgenommen werden, so war der mittelalterliche Mensch ein auditiver Mensch, darauf angewiesen, sich sein Wissen hörend und nachsprechend anzueignen. Der Rezitator kleidete das Gedicht mit seiner Stimme in Klang – vestiva il canzon. Hier konnten die Grenzen zwischen Wort und Musik aufgelöst, zu einem improvisierten Sprech - Gesang gestaltet werden. Die feste polyphone Komposition stellte nur einen Teil der italienischen Musikpflege dar, den weitaus größeren bildete die Kunst des Improvisierens. Die Musik der norditalienischen Kulturzentren Verona und Florenz steht im Mittelpunkt dieses Programms.

Ad cantus letitie

Eine englische Marienmesse des 14. Jahrhunderts

Im Lauf der Zeit hatte sich die menschliche Maria zur wichtigsten Fürbitteperson der Gläubigen entwickelt, die sich nicht direkt an Christus oder Gott zu wenden wagten. In allen großen Kirchen und Klöstern Englands wurde im 13. Jahrhundert täglich eine Messe zu Ehren der Jungfrau Maria gesungen. An Fest- und Feiertagen wurde diese durch polyphone Kompositionen prachtvoll ausgestaltet. Seit der Eroberung der britischen Inseln durch die Normannen im Jahr 1066 herrschte ein stark französisch geprägter Geschmack. Andererseits deutete sich die Entwicklung eines typisch englischen Nationalstils, der später auf dem Festland als contenance angloise bewundert wurde, an. So erklärt es sich, daß sowohl französische Werke in englischen Handschriften, als auch englische Kompositionen auf dem europäischen Kontinent überliefert sind.

 

Aussichtslose Liebe

Werke von Heinrich von Meißen und Meister Alexander

Die hohe Minne (höfische Liebe) ist das zentrale Thema mittelhochdeutscher Lyrik. In der literarischen Großform des Leichs erfuhr die Idee der hohen, aber gefährlichen und verlockenden Liebe zu einer adligen, verheirateten Frau eine besonders kunstvolle Ausprägung, die das Können des Dichters unter Beweis stellte. Während die geistlichen Leichs zumeist an Maria, Christus, oder die Trinität gerichtet sind, steht in den weltlichen Leichs der Preis oder die Klage über die der Werbung nicht nachgebende Frau im Vordergrund. Das Konzertprogramm widmet sich dem weltlichen Minneleich der großen Dichterkomponisten Heinrich von Meißen und Meister Alexander und beleuchtet die unterschiedlichen Facetten dieser „aussichtslosen“ Liebe. Die rätselhafte, bildreiche Sprache des Minneleichs und seine anspruchsvolle Melodik inspiriert das Ensemble zu einer Interpretation, die von lyrisch bis dramatisch alle Nuancen belebt.